Kafka: "Wer die Fragen nicht beantwortet, hat die Prüfung bestanden." Verlustschmerz kennt sie aus eigener Erfahrung. Ihr Sohn Malte starb mit sieben Jahren an Leukämie.

Ein Stein in Herzform wandert in der Gruppe herum; wer ihn in der Hand hält, erzählt, was ihn beschäftigt. Die Eltern treffen sich seit einem Jahr; man duzt sich. Eine Atmosphäre ganz eigener Intensität ist entstanden. Alle sind daran gewöhnt, dass die Stimmung innerhalb von Sekunden kippen kann.
Eben war noch von Gertis Diät und von Kaijas Umschulung die Rede. Dann erzählt Alke, deren 19-jähriger Sohn im Jahr zuvor bei einem Marathonlauf tot zusammengebrochen ist, wie sie die Erinnerung einholt. Wenn sie einen Jogger sieht. Wenn sie fröhlichen Jungs im Abiturientenalter begegnet. Wie sich Wut und Ohnmacht in ihr aufbauen, als sie mit Freundinnen über Malte reden will und eine sofort das Gespräch abwürgt. "Totschweigen ist wie ein zweites Sterben", sagt Anja Wiese.
"Ich will nicht mehr, dass du weinst, ich wein' auch nicht mehr", hat der sechsjährige Silvio neulich seine Mutter ermahnt, die den Tod seines älteren Bruders einfach nicht verwinden kann. Am Mittwochabend darf sie weinen. Keiner muss hier den Kraftakt aufbringen, "anderen zuliebe normal zu sein". Denn "zu viel" Trauer gibt es ebensowenig wie "richtige" oder "falsche" Trauer.
Gemeinsam besuchen die Eltern nach und nach die Gräber all ihrer Kinder. Legen fremden vertrauten Toten Rosensträuße und blühende Artischocken, Astern und ein Nest mit Zierkürbissen aufs Grab. Halten sich an den Händen, während Anja Wiese ein Gebet spricht: "Zum Lieben und zum Lasten tragen / Zum Hoffen und zum anders sein / Erbitten wir an allen Tagen / Viel Kraft - gemeinsam und allein."

In der Gemeinschaft keimt mit der Zeit, fast unmerklich, Zuversicht; wächst, was Trauerbegleiter "Seelentiefe" nennen. Philipps Mutter wird bewusst, dass sie nicht mehr ausschließlich an den Verlust denken muss, sondern die 25 Jahre mit ihrem Sohn als Geschenk empfinden kann. Manchmal. Ihr Mann hat einen Kernsatz, der ihn trägt: "Solange ich lebe, lebt Philipp in mir."
Das "große Loch" erfülle ihn zugleich mit "großer Intensität". Er sagt: "Ich bin mir selber näher gekommen. Ich will leben, aber nicht mehr wie bisher. Small talk? Nicht mehr mit mir!" Sven Christians Mutter hat ihr Haus verkauft, löst sich von "110 Quadratmetern Einsamkeit". Jennifers Eltern kündigen ein "Gruppenbaby" an - nein, kein Ersatz für Jenni, um die sie weiter weinen werden, aber ein Schritt ins Leben.

Wie stark individuelle Trauer ist, wie sie sich entwickelt, wie, wann und ob sie sich zurückzieht, ob ihr Ausbleiben schädlich ist, ob Konfrontation oder