Manche Freunde, Verwandte, Nachbarn, Kollegen
vermeiden es dann, die Sprache auf den Tod zu bringen.
Andere versuchen zu beschwichtigen oder aufzumuntern, um Grübelnde aus ihrer Endlosschleife im Irrealis - "hätte ich doch..., wenn doch nur..., könnte ich noch einmal..." - zu reißen. Beides ist menschlich. Und falsch. Es gibt Phrasen, die Trauernde als Zumutung empfinden: DenkandieZukunft!Weinenhilftnicht! Dubistnichtdie Einzige.FangeinneuesLebenan!

Professionelle Experten für das Seelenheil, Pfarrer und
Psychologen, agieren häufig nicht minder unbeholfen.
Sie glauben, sie müssten erklären, deuten, analysieren.
Wird ihr Trost nicht schnell genug angenommen, bleibt
die Diagnose "Anpassungsstörung". Doch Trauernde
brauchen keine Therapie. Sie brauchen Empathie,
Einfühlung, Verständnis.

All das bringen am sensibelsten diejenigen auf, die das
"irre werden" durchlebt haben, jenes Gefühl, das Lessing in "Emilia Galotti" beschrieben hat: "Wer über gewisse Dinge den Verstand nicht verlieret, der hat keinen zu verlieren."

Die "Blaue Gruppe" trifft sich an jedem ersten und dritten Mittwoch des Monats. Auf dem Boden ist die Sternen-decke ausgebreitet, darauf liegen DIN-A4-Farbkopien. Sie zeigen blauen Himmel mit einem von einem Flugzeug kühn gemalten Kondensstreifen in
Form eines Herzens. Die Eltern haben Fotos aus glücklichen Tagen hineingeklebt Raffaele. Falko. Jennifer. Malte. Philipp. Sven Christian. Tapio. Timo. Tod durch Herz-OP. Verkehrsunfall. Verkehrsunfall. Sportunfall. Hirnblutung. Lungenembolie. Krankheit. Krankheit.
"Ich zünde ein Licht an für Jenni", beginnt Jennifers Vater und gibt die Streichhölzer weiter in die Runde. Das Entzünden der Teelichte gehört zu den Ritualen der "Verwaisten Eltern". Die Urzelle der Bewegung stammt aus England, wo sich 1969 nach dem Tod zweier Jungen in Coventry die Eltern-Selbsthilfegruppe "The Compassionate Friends" gründete. In Deutschland starteten die ersten Initiativen für trauernde Eltern 1984. Heute gibt es etwa 400 Gruppen bundesweit, 17 allein in Hamburg.

Die Kerzen brennen. Die Namen der Toten klingen nach. Anja Wiese, hauptamtliche Trauerbegleiterin im Verein, moderiert. Die blonde 55-Jährige ist mütterlich und resolut, einfühlsam und kritisch, humorvoll und ernst. Sie gerät nicht aus der Fassung, wenn eine Mutter sich ausmalt, wie sie dem Chefarzt, der ihren Sohn zu Tode operiert hat, mit seinem Skalpell die Haut abzieht.
Anja Wiese glaubt, "dass Trauernde Helden sind", weil sie "ihre Untröstlichkeit und ihre Fragen aushalten". Ihr Lieblingszitat stammt von Franz