Die Kulturen der Welt bieten Trauernden unterschiedliche Hilfestellungen. Schupbach erzählt von den australischen Aborigines. Die betrachteten das Leben als Bühne, die nur zum Teil ausgeleuchtet sei. Es gebe Parallelwelten, die der Scheinwerfer nicht erfasse, die aber genauso real seien. Die "Feinspür-Ebene", in der Träume, Ahnungen, Visionen regierten, stehe gleichgewichtig neben der "Konsensus-Ebene", der Alltagsrealität, die Menschen im Westen als einzige Wirklichkeit gelten ließen.
Viele in der Runde merken auf. O ja, sie kennen wundersame Erlebnisse, die sie "draußen" niemandem anvertrauen: die Erfahrung etwa, dass ihre Toten ihnen Zeichen geben. Oder sie besuchen, nicht nur als quälende Geister und nebulöse Traumgestalten, sondern höchst real: auf der Straße, im Wohnzimmer beim Bügeln. Evelyn Eichhorn, die für dieses Seminar zum ersten Mal seit der Beerdigung ihrer Tochter Berlin verlassen hat, erzählt, wie ihr Constanze "in all ihrer Leichtigkeit" manchmal auf dem Friedhof entgegenspaziert.

Es erleichtert, solche Erfahrungen nicht als bösen Spuk, sondern als Hilfe begreifen zu dürfen. Max Schupbach variiert Übungen, mit denen sich Macht über die Geister zurückgewinnen lässt. Die Teilnehmer erinnern sich an typische Gesten oder Worte ihrer Toten, imitieren sie. Bei Evelyn Eichhorn ist es eine lockere Handbewegung nach vorn, mit der Constanze ihr zu verstehen gibt, den "Bleimantel" abzulegen, der sie umfängt. "Mama, mach! Geh nach außen!"
"Auf alle Menschen wartet gleicher Tod / Und keinen gibt es, der an diesem Tag / Schon weiß, ob er den nächsten noch erlebt." So heißt es beim griechischen Dramatiker Euripides. Wie könnte eine moderne Gesellschaft aussehen, die mit dieser Einsicht umzugehen weiß? In der die Lebenden sich mit den Toten versöhnen und Trauer Resonanz in der Öffentlichkeit findet?
2400 Jahre nach Euripides' Ableben gibt es zukunftsweisende Vorbilder: im Internet. Bei Kindern. In den Niederlanden.

Webseite www.leben-ohne-dich.de, Beitrag 1658. "In den letzten Tagen ging es mir recht gut, doch heute bin ich wieder total am Boden", schreibt Kerstin, 18, auf einer der "Geschwisterseiten" des Internetforums. Ihre Mutter sei "förmlich ausgerastet", als sie Kerstin im leeren Zimmer der kurz zuvor an Leukämie gestorbenen kleinen Schwester angetroffen habe. Dort las die lebende Schwester der toten bei Kerzenschein am offenen Fenster aus einem "Harry Potter"-Buch vor, "in der Hoffnung, dass sie auf einer Wolke sitzt und mir zuhört". Die Mutter riss ihrer Tochter das Buch aus den Händen und zerrte sie aus dem Zimmer.
Im Netz finden Trauernde Resonanz. Innerhalb von 20 Stunden treffen fünf liebevolle Trost-Mails für die 18-Jährige ein. Die Jugendlichen berichten von eigenen Vorleseritualen, raten, das Gespräch mit der