eine Welt hinter der Welt eintreten. Es gibt Teiche und Wasserfälle, ein Steinlabyrinth, eine Felsenspirale, das Unendlichkeitssymbol aus Birkenstämmen und Weidengeflecht.
700 Bestattungen für Kunden aus ganz Deutschland organisiert Roths Firma jährlich. Das Schlüsselthema heißt: sich Zeit nehmen für den Abschied. Bei Fritz Roth können die Lebenden mit ihren Toten zusammen sein, so lange sie wollen. Mitarbeiter bringen den offenen Sarg aus dem klimatisierten Leichenraum in einen Abschiedsraum mit Leuchtern, Polstersesseln und einer Musikanlage; morgen und übermorgen gern wieder. Eine Mutter blieb drei Wochen.
Ungelebte Zukunft betrauern, in stummer Zwiesprache unerledigte Geschäfte zum Abschluss bringen - ein Haus voller Gemälde, Skulpturen, Antiquitäten reizt zu eigenen Stilformen. Kinder legen toten Großeltern Bilder und Briefe in den Sarg; das Plüschtier darf auch mit hinein.
Die Malerin Michaela Frank tuschte an drei Abschieds-Nachmittagen auf Buntpapier 16 Porträts ihrer toten Mutter, die jetzt in Roths Bibliothek hängen. Auf den Anfangsbildern brechen sich Verwirrung, Wut und Rebellion Bahn; dicke schwarze Tupfer machen das Gesicht der Frau unkenntlich. In den späteren Skizzen lösen sich die Konturen auf; zuletzt deuten nur drei zarte Striche die Gesichtszüge an." |
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Ich kann es nicht wissenschaftlich belegen", sagt Roth,"aber eines scheint mir eindeutig: Das erste Bild signalisiert einen weniger gesunden Zustand als das letzte."
Letzte Ruhe. Zeit für Grundsatzangelegenheiten. Warum gibt es überhaupt Trauer? Wie und warum konnte sie sich im Lauf der Evolution als universelles Grundgefühl entwickeln, nicht nur bei Menschen, sondern auch bei Tieren, etwa Falken und Elefanten (siehe Seite 194)? Die Frage ist nicht trivial. Anders als zum Beispiel Angst erfüllt Trauer keinen überlebenswichtigen Zweck.
Im Gegenteil: Jammern und Wehklagen bringen Appetitverlust, Desinteresse, massives körperliches Unwohlsein mit sich. Das sind nicht gerade Faktoren, die individuelle Fitness oder sexuelle Attraktivität steigern - und damit die Weitergabe der eigenen Gene fördern. John Archer, Autor des Buchs "The Nature of Grief", formuliert die Fragestellung so: "Warum hat die natürliche Selektion nicht statt trauernder Individuen solche bevorzugt, die den Tod fröhlich willkommen heißen?"
Die Antwort: Trauer gehört zu den "Kosten" sozialer Bindungen. Denn würde die Abwesenheit von Verwandten oder Sexualpartnern nicht als Verlust empfunden, böte nicht nur der Tod, sondern schon jede kurzfristige Trennung Anlass für dauernde, kräftezehrende Neuordnungen in der Gruppe. |
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