"Wenn soziale Beziehungen trotz Trennung andauern sollen", schreibt Archer, "muss es Mechanismen geben, die Bindungen festigen, wenn der andere abwesend ist... Trauer ist ein Nebenprodukt dieser Mechanismen." Romantischer ausgedrückt: "Trauer ist der Preis, den wir dafür zahlen, Liebe zu empfinden."
Im Fall von Homo sapiens steigert das Bewusstsein der Sterblichkeit sowohl Verlustangst wie Liebestalent. Erosund Thanatos, Liebe und Tod, bescheren die höchsten Wonnen, die tiefsten Abstürze. "Trauerarbeit" hat Sigmund Freud den Prozess genannt, den Verlust einer geliebten Person zu verwinden. Der Begriff ist heute umstritten - Arbeit klingt nach einer Handlung, die sich aktiv vollziehen und steuern ließe. Tatsächlich erleben sich viele Trauernde als ausgeliefert.
Mit dem Abschied im Sinne von Fritz Roth kontrastiert das bittere Ende, wie es Evelyn Eichhorn erlebt hat, als ein "Stück Grausamkeit": Sie sieht, wie Constanze nach siebenstündiger Operation in einem italienischen Krankenhaus stirbt; ein Teil von ihr stirbt mit, ein anderer regelt in gewohnter Tüchtigkeit Formalitäten: Überführung, Einäscherung, Begräbnis auf einem der schönsten Friedhöfe Berlins, auf dem eigentlich seit 20 Jahren keine Beisetzungen mehr stattfinden.
Bonjour, tristesse. Die Psychologin Verena Kast schreibt, der Tod eines geliebten Menschen lasse "uns irre werden an uns und an allem, was wir bisher für |
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selbstverständlich gehalten haben". Sie teilt den Trauerprozess in vier Phasen.
Anfangs: das Nicht-wahrhaben-Wollen; Empfindungslosigkeit und Starre. Phase 2: aufbrechende Emotionen aller Art; Wut, Angst, tiefe Niedergeschlagenheit, Suche nach Schuldigen. Anschließend: Suchen und Sich-Trennen; heftiges Fahnden nach dem Verstorbenen, innere Zwiegespräche. Schließlich: neuer Selbst- und Weltbezug.
Reale Trauer hält sich nicht an Modelle; die Phasen 1 bis 3 wirbeln häufig durcheinander, überlagern, wiederholen sich, peinigen den Leib mit Tinnitus, mit Hexenschuss oder Magenschmerz, mit Darmkrämpfen oder Herzweh. "Körperschmerz schützt vor Seelenschmerz", erklärt Peter Findeisen, Leiter der Caduceus-Klinik für Psychosomatik in Bad Bevensen, die sich auf existenzielle Krisen spezialisiert hat. Mitunter merken Menschen erst nach Jahren, dass sie nach dem Tod ihrer Lieben "versteinerten", um nicht die Kontrolle über sich zu verlieren. Dennwennmanglücklichist,kriegtmaneinendrauf, dannliebergarnichtsspüren.
Bei anderen toben nachts die Geister - und ruinieren die Beziehung der Lebenden. Zuschauen zu müssen, wie fröhliche Menschen zusammenbrechen, überfordert die Umwelt regelmäßig. |
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